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Die neoliberale Katastrophe

Gedanken über den Raubtierkapitalismus, die Hörigkeit der Politik und die Rolle der Medien



Freitag, 27. März 2009

Das ZDF "kann Kanzler"

Von verhartzt, 15:54

Man sitzt zunächst fassungslos und offenen Mundes vor dem Monitor, bis sich das Entsetzen seinen Weg durch die Gehirnbahnen gesucht hat, denn allmählich erkennt man, dass es keine Satire, keine von Urban Priol und Norbert Schramm inszenierte Lachnummer ist, die sich dem gruselnden Auge bietet: Unter kanzler.zdf.de wird allen Ernstes eine „politische Talentshow“ beworben, die demnächst den Gaumen des Gebührenzahlers bis zum Erbrechen kitzeln soll.

„Ich kann Kanzler!“ prangt es dem geneigten Leser oben auf der Seite entgegen, und schon an dieser Stelle möchte man die Werbeagentur oder den bedauernswerten Freelancer, die/der sich diese Vergewaltigung der deutschen Sprache ausgedacht hat, an die BLÖD-Zeitung verweisen. Aber es wird noch viel, viel besser. Auf den durchgestylten Seiten kann man weiter lesen, dass das ZDF für jene „politische Talentshow“ nach „unverbrauchten Gesichtern mit frischen Ideen“ sucht, die „Lust haben, etwas politisch zu verändern“.

Aha. Zur politischen Veränderung benötigt man also unverbrauchte Gesichter – nicht etwa schlüssige politische Konzepte – sowie lediglich die Lust zur Veränderung. Es ist ein Verdienst des öffentlich-rechtlichen Senders ZDF, uns das endlich einmal klar vor Augen geführt zu haben. Das ZDF weist auch gleich ganz deutlich darauf hin, wie es sich diese Show der politischen Veränderung vorstellt: Die Bewerber sollen „gegen drei andere Kandidaten antreten“ – genau wie das auf VOX und anderen Privatkanälen Lehrstellenbewerber, Wohnungssuchende oder Restaurantbetreiber tun. Es ist eben einzig der Wettbewerb, das Konkurrenzdenken, das zählt – auch beim ZDF.

Hat man an dieser Stelle noch nicht resigniert, sondern weitergeklickt, wird schnell klar, dass das Niveau noch lange nicht den Bodensatz erreicht hat. Auf den nächsten Seiten erfährt man nämlich, dass „jeder politisch interessierte Deutsche im Alter von 18 bis 35 Jahren“ mitmachen darf. – Aha zum Zweiten. Man benötigt also nicht nur ein „unverbrauchtes Gesicht“, sondern soll auch altersmäßig dem Unverbrauchten entsprechen, um „Kanzler“ werden zu können – ganz gemäß der gängigen neoliberalen Wahnvorstellung eines Bewerbers, der so jung (und gesund) wie möglich sein, dabei aber die Erfahrung und das Wissen eines Greises mitbringen soll.

Spätestens an dieser Stelle schlägt man sich die geballte Faust vor den Kopf, sehnt sich nach „Free Rainer“ und schwört sich, beim nächsten Besuch der GEZ-Drückerkolonne dem Individuum vor der Haustür empfindlich in den Magen zu boxen – auch wenn dieser arme Mensch vermutlich von der zuständigen ARGE zu dieser erbärmlichen Tätigkeit gezwungen worden ist.

Was sind das nur für Auswüchse, die im öffentlich-rechtlichen Rundfunk wuchern? Wie kann es sein, dass ein Sender, der politische Informationen zu liefern hat – gerade JETZT in dieser Zeit des Umbruchs und Niedergangs –, neben Volksmusiksendungen, „Wetten dass“ und anderen Peinlichkeiten nun auch noch im politischen Bereich die Gosse betritt und eine solche perfide Groteske ankündigt?

Donnerstag, 03. August 2006

Offener Brief an Klaus Brandner (SPD) und Ralf Brauksiepe (CDU)

Von verhartzt, 16:17

Sehr geehrter Herr Brandner,
sehr geehrter Herr Brauksiepe,

es ist nicht länger erträglich, mitverfolgen zu müssen, wie Sie die zunehmende Schieflage und Ungleichhheit in diesem Land auf Kosten der Armen und Ärmsten weiter zu verschärfen versuchen. Ihre jüngsten Äußerungen bezüglich der Millionen unfreiwillig arbeitslos gewordenen Menschen, deren Stellenabbau wir täglich in den ansonsten willfährigen, devot-neoliberalen Medien mitverfolgen können, setzen dem ohnehin schon längst menschenunwürdigen Dasein eines Großteils der Bevölkerung wahrlich die Krone auf.

Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass die überwältigende Mehrheit der erwerbslosen Menschen in diesem Land, deren Wohl Sie zu vertreten haben, nicht "faul" oder "unwillig zur Arbeit" ist, sondern schlicht und ergreifend aufgrund Ihrer politischen Unterstützung der neoliberalen Ideologie und der perfiden Haltung der Wirtschaft keine Arbeitsstellen mehr finden kann.

Ich fordere Sie auf, Ihre erbärmlichen Worte, es könne nicht sein, dass die (längst nicht mehr existente) Solidargemeinschaft "solch ein Verhalten noch weiter bezahlt", angesichts der von der Wirtschaft "freigesetzten" Menschen von AEG/Electrolux, Telekom, Allianz, Siemens und unzähliger weiterer Konzerne zu wiederholen. All diese Menschen, die ihren Arbeitsplatz verlieren und in der Vergangenheit verloren haben, die keineswegs in der Mehrzahl "gering qualifiziert" sind und die dank Ihrer Politik gezielt und gewollt bis aufs letzte Hemd verarmt werden, würden nur zu gern eine neue Arbeitsstelle antreten, die es ihnen ermöglicht, die Auswirkungen der aktuellen "Sozialpolitik", die nunmehr nur noch Sozialzynismus ist, zu vermeiden. Allein: Es gibt diese erforderlichen Arbeitsstellen nicht!

Doch was fällt Ihnen dazu ein: Eine weitere Verschärfung der Kriterien, die auch heute schon nicht zu mehr Beschäftigung, sondern allenfalls zu mehr Armut, Entsolidarisierung, Hoffnungslosigkeit und Obdachlosigkeit führen. Das ist eine wahrlich konstruktive, soziale und vor allem intelligente Politik!

Wie kommen Sie dazu, angesichts eines immer reicher werdenden Landes, einer stetig gesteigerten Produktivität, einer durch den Export glänzend dastehenden Wirtschaft, die dennoch - trotz stetig sinkender Steuerabgaben und steigender Gewinne - immer mehr Arbeitsplätze abbaut, die Verlierer dieses Prozesses an den Pranger zu stellen? Was erdreisten Sie sich, solchen Menschen, die in der Regel wesentlich mehr in die Staatskasse eingezahlt haben als Sie selber, nun mit solchen populistischen Forderungen zu begegnen, während Sie selber durch erhebliche Zahlungen des Staates an Sie ein recht angenehmes Leben führen können, während Sie doch nicht die Interessen des Volkes, sondern einzig die der Wirtschaft und der Reichen vertreten?

Hier ist endgültig ein Punkt erreicht, an dem Sie den Bogen überspannt haben. Sie mögen sich selbst "Arbeitsmarktexperten" nennen, haben aber nicht im Ansatz verstanden (oder es bewusst verschleiert), worum es jetzt gehen muss. Wir brauchen keine weitere "Verschärfung" der Gesetze, um "Arbeitsunwillige", für die es keine Arbeit gibt, zu motivieren. Motivationen, um dem erbärmlichen Arbeitslosengeld II zu entkommen, gibt es reichlich. Stattdessen brauchen wir Gesetze, die Unternehmen motivieren, Arbeitsplätze zu schaffen, statt sie abzubauen. Wissenschaftliche Ansätze dafür gibt es genug - das wissen Sie als "Experten" sicherlich. Ihre Partei - die SPDCDU - ist zwar (vermutlich aus sehr eigennützigen, aber dennoch kurzsichtigen Gründen) der neoliberalen Glaubenslehre verfallen, aber jenseits dieser Ideologie, die bislang nichts weiter als Unheil für die Menschen und Vorteile für die wenigen Reichen gebracht hat, gibt es vielfältige Gesellschafts- und Wirtschaftsmodelle, die der Allgemeinheit und nicht einer kleinen priviligierten Gruppe dienen.

Sie dürfen mit massivem Widerstand rechnen, wenn Sie sich weiterhin dem demokratischen Wählerwillen widersetzen, der der perfiden "Agenda 2010" und dem neoliberalen Kurs der Schröder-Regierung eine klare Absage erteilt hat. Es ist schlicht undemokratisch, dass Sie diese asoziale Politik nun fortsetzen und immer weiter ausbauen. Von der CDU war ja nichts anderes zu erwarten, aber dass die SPD sich auch weiterhin für die Machterhaltung derartig prostituiert, ist seit Jahren nicht mehr nachvollziehbar. Als ehemaliger Genosse kann ich nur feststellen: Machen Sie nur so weiter - dann wird in Kürze auch dem letzten verblendeten Fußball-Fan klar werden, dass SPD und CDU das scheindemokratische Spiel der USA mit den beiden angeblich unterschiedlichen Parteien kopieren wollen, um einen zumindest oberflächlichen Anstrich der Demokratie zu verbreiten.

Es ist sehr leichtsinnig, dass Sie sich darauf verlassen, dass die deutsche Bevölkerung ebenso dumm und willfährig ist wie die amerikanische - auch wenn der "Spiegel" und viele andere Mainstream-Medien, die längst keine Kontrollfunktion mehr ausüben, Ihre perfiden Pläne zum neoliberalen Umbau des Staates und der Weltordnung unterstützen.

Hören Sie endlich auf damit, die völlig sinnlos an die Wirtschaft verschenkten, nun im Haushalt fehlenden Milliarden von der Bevölkerung und insbeondere den Armen zurückfordern zu wollen. Sie wissen ebenso wie die angeblich so dumme Bevölkerung, dass eine Wirtschaft, die "Exportweltmeister" ist, kein "Wettbewerbsproblem" haben kann! Auch wissen Sie, dass laut Aussage von Herrn Steinbrück lediglich die Slowakei in der EU noch niedrigere Steuersätze für Unternehmen bietet als Deutschland. Mit welchem Recht werden die Unternehmen nun wieder durch die Unternehmessteuerreform so reichhaltig beschenkt, während Sie darüber nachdenken, die Sozialleistungen für die Menschen, die von eben diesen Unternehmen schamlos auf die Straße gesetzt werden, weiter zu kürzen?

Sie sollten sich der Tragweite Ihrer Forderungen bewusst werden und zur Kenntnis nehmen, dass Millionen von Menschen in unserem Land nicht länger bereit sind, Ihre perfiden Strategien der Diskriminierung und Manipulation kritiklos hinzunehmen.

Es reicht!

Mit nur noch unter äußerster Willensanstrengung freundlichen Grüßen.

 

Sonntag, 09. Juli 2006

Ein neoliberaler Popanz

Von verhartzt, 02:06

Ein kleiner Exkurs in die Welt der öffentlichen Manipulation durch die Medien am Beispiel der Berliner Zeitung  

 

Der Kommentar „Stagnation mit der großen Koalition“ von Werner Gegenbauer in der Berliner Zeitung vom 08.07.06 offenbart einmal mehr, woran Deutschland wirklich leidet: Es ist die ständige mediale Verbreitung solcher neoliberaler, völlig unsinniger und größtenteils schlichtweg falscher Scheinargumente und Manipulationsversuche.

 

Gegenbauer vertritt noch immer die These, es existiere beispielsweise in Bezug auf das Renten- oder Gesundheitssystem ein „Ausgabeproblem“, während es doch offensichtlich ist, dass es in Wahrheit aufgrund des massiven und ständig fortgesetzten Arbeitsplatzabbaus bei gleichzeitigen milliardenschweren Steuergeschenken an die Wirtschaft ein Einnahmeproblem ist, das unsere Gesellschaft und den Staat belastet und erheblich bedroht. Angesichts dieser Problematik ist es geradezu zynisch, dass Gegenbauer hier eine generelle Leistungskürzung als „Lösung“ fordert. Eben diese Leistungskürzungen, die der gesamten Bevölkerung in den vergangenen Jahren in immer stärkerem Maß zugemutet wurden und auch weiterhin fortgesetzt werden, sind doch verantwortlich für die nachlassende Binnennachfrage, die zunehmende soziale Spaltung und – auch „Hartz IV“ sei’s gedankt – die massenhafte Verarmung von Millionen von Menschen. Die Rentenzahlungen sinken ebenso wie die Löhne seit Jahren; die finanziellen Mehrbelastungen nicht nur im Gesundheitssystem sind für die Bürger erheblich gestiegen und sollen auch weiterhin massiv steigen, die desaströsen Folgen der „Hartz“-Gesetze sorgen für weit verbreitete Armut, eine unkontrollierte Ausbreitung von „Niedrigstlohnjobs“ auch für gut Ausgebildete und Akademiker und die Verdrängung sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplätze durch „Ein-Euro-Jobs“. Gebracht hat das alles nichts. All diese „Reformen“, die man eher „Deformationen“ nennen müsste, haben die Lage stattdessen weiter verschärft und verschlimmert.

Folgt man Gegenbauers kruden Gedankengängen, liegt das jedoch in erster Linie an einer in Deutschland angeblich herrschenden „Anspruchsmentalität“. Die Frankfurter Rundschau hat ein solches Menschenbild treffend als „Sozialzynismus“ bezeichnet – ein Wort, das auch Gegenbauers Kommentar vorzüglich illustriert. In diesem neoliberalen Gesellschaftsbild, in dem einem Großteil der Menschen zunächst die finanzielle Grundlage entzogen wird, um sie danach zynisch in die „Eigenverantwortung“ zu entlassen, ist kein Raum mehr für Toleranz, Solidarität, Fairness oder paritätisches Denken. Es stünde dem Kommentator gut zu Gesicht, wenn er noch etwas deutlicher geschrieben hätte, wie die Gesellschaft nach seiner Meinung „funktionieren“ solle – frei nach dem Motto: „Wenn jeder nur an sich selber denkt, kommt doch keiner zu kurz.“ 

Diese ständige Propagierung des puren Egoismus’ (der selbstverständlich ein „alternativloser Weg“ sei) ist einer der Gründe für den Niedergang unseres Rechts- und Sozialstaates und die Entsolidarisierung ganzer Bevölkerungsgruppen. Da passt es wunderbar ins Bild, dass Gegenbauer eine wundervolle Lösung parat hat: Die Menschen müssen eben – egal in welchem Bereich – vermehrt „privat vorsorgen“. Man ist versucht zu fragen, ob der Verfasser dieses Kommentars ganz bewusst verschleiert, dass eine solche „private Vorsorge“ ja nichts grundsätzlich anderes ist als die steuerliche Mehrbelastung der Bevölkerung. An wen der Bürger seine vermehrten Aufwendungen zahlt – ob nun an den Staat oder einen Versicherungskonzern –, dürfte ihm egal sein. Nicht egal ist das allerdings den Konzernen, so dass deutlich wird, wo sich denn die wirklichen (und einzigen) Gewinner einer solchen gebetsmühlenartig immer wieder geforderten „Privatisierung“ befinden.

Auch die Frage, wie all die Armen und Ärmsten unseres Landes eine solche „Privatisierung“ bezahlen sollen, bleibt weiter offen. Gegenbauer gehört offenbar zu den Menschen, die eine notwendige ärztliche Versorgung oder eine auskömmliche Rente nur für einen zunehmend kleiner werdenden Teil der Bevölkerung für wünschenswert und notwendig erachten. Warten wir nun noch auf die Forderung einer Änderung des Grundgesetzes à la Gegenbauer: „Die Würde des Menschen ist unantastbar, sofern er sie sich leisten kann.“

Es verwundert nicht, dass in diesem Kommentar auch die übliche ideologische Behauptung unreflektiert wiederholt wird, sinkende Lohn(neben)kosten würden Arbeitsplätze schaffen. Das Gegenteil ist längst bewiesen. Der riesige „Niedrigstlohnsektor“, der in Deutschland auf Druck der Schröder-Regierung entstanden ist, hat nicht zu mehr Arbeitsplätzen, sondern zur Vernichtung angemessen entlohnter Stellen geführt. Schon Ende 2005 befand Hartmut Reiners, Leiter des Referats Grundsatzfragen der Gesundheitspolitik im Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Familie des Landes Brandenburg: „Aber auch wenn man die Lohnnebenkosten als eigenständigen Wettbewerbsfaktor betrachtet, gibt es keine belastbaren empirischen Belege für die Behauptung, die Höhe der Sozialabgaben schädige den Standort Deutschland. Man findet eher Anhaltspunkte dafür, dass es sich dabei um einen Popanz handelt (…).“

Dieses treffliche Wort bezeichnet auch die gesamte neoliberale Ideologie, die sich verkürzt so darstellen lässt: „Gebt alles Geld den Konzernen, reduziert den Staat auf ein reines Bürgerüberwachungssystem und überlasst die Menschen ansonsten sich selbst und dem Markt. So wird Wohlstand und Reichtum für alle entstehen.“ – Ja, das ist, ebenso wie Gegenbauers Kommentar, wahrlich nichts weiter als ein – allerdings brandgefährlicher – Popanz.

Es stellt sich nun die Frage nach den Motiven, die den Kommentator bewegt haben mögen, die neoliberale Ideologie so plump und erkenntnisresistent weiterhin zu verbreiten. Standen Werbekunden oder Anteilseigner der Berliner Zeitung mit gezogenen Colts hinter seinem Schreibtisch? – Weit gefehlt, denn Werner Gegenbauer ist Unternehmer (die Gegenbauer Holding SA & Co. KG und ihre Tochterfirmen erzielten im Jahr 2005 einen Gesamtumsatz in Höhe von 300,5 Millionen Euro) und Ehrenpräsident der Industrie- und Handelskammer Berlin. Dass es stets die Reichen sind, die die Vermehrung des Geldes auf ihren eigenen Konten auf Kosten der Bevölkerung propagieren, die stetig weniger verdienen, dafür aber mehr arbeiten und mehr bezahlen soll, ist ja nichts Neues. Ebenso wenig verwundert es, dass ein Unternehmer die milliardenschweren Steuergeschenke des Staates an die Wirtschaft gut heißt. Die zunehmende Schamlosigkeit solcher ungerechter, unsozialer und gefährlicher Forderungen aber entblößt einmal mehr die hässliche Fratze des Kapitalismus, die unsere Medien willfährig und manipulierend unters Volk bringen. Die Berliner Zeitung steht da nur stellvertretend für den Niedergang des Journalismus und die Aushebelung der Kontrollfunktion einer längst nicht mehr freien Presse.

Samstag, 08. Juli 2006

Sozialgerichtsgebühren

Von verhartzt, 14:52

Oder: Das pervertierte Menschenbild der politischen „Elite“

Der Bundesrat hat bereits am 23. März einen Gesetzentwurf zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes in den Deutschen Bundestag eingebracht (Bundestags-Drucksache 16/1028). Ziel dieses Gesetzes ist die Einführung von generellen Sozialgerichtsgebühren. Diese sollen nach dem Willen der Initiatoren, die sich unter anderem auf die Präsidenten der Landessozialgerichte und den Präsidenten des Bundessozialgerichts berufen, wie folgt gestaffelt werden: 75,00 € sollen für das Klageverfahren (Sozialgericht) fällig werden, 150,00 € für das Berufungsverfahren (Landessozialgericht) und 225,00 € für das Revisionsverfahren (Bundessozialgericht).   

Was bedeutet das nun in der Praxis? Sollte dieses Gesetz tatsächlich verabschiedet werden, hieße das für alle, die sich gegen behördliche Willkür, Amtsanmaßungen oder rechtswidrige Behördenbescheide und -handlungen zur Wehr setzen müssen, dass sie das grundgesetzlich verbriefte Recht auf uneingeschränkten Zugang zur Gerichtsbarkeit nur dann wahrnehmen könnten, wenn sie über die entsprechenden finanziellen Mittel verfügen. Gerade die Sozialgerichte verhandeln aber häufig Fälle, in denen es um die Nichtauszahlung beispielsweise des Arbeitslosengeldes II (euphemistisch auch „Grundsicherung“ genannt) geht. In einer konkreten Situation, in der das Arbeitsamt nicht gezahlt hat, soll nun der Arbeitslose noch zusätzlich Geld aufbringen, bevor er überhaupt die Möglichkeit erhält, Klage gegen das Amt wegen der Nichtzahlung der „Grundsicherung“ führen zu können.

Wie pervertiert muss ein Menschenbild eigentlich sein, damit Politiker sich solche Gesetzestexte ausdenken können? Im Entwurf heißt es dazu: „Ein weiteres Festhalten an der Gebührenfreiheit für den genannten Personenkreis [das sind Versicherte, Leistungsempfänger und Behinderte, Anm. d. Verf.] ist aber weder aus verfassungsrechtlicher Sicht erforderlich noch aus sozialpolitischen Gründen wünschenswert.“ Nach Meinung des Bundesrates ist es also kein Problem, wenn das Grundgesetz einmal mehr verbogen und ausgehöhlt wird. In Artikel 19, Absatz 4 Grundgesetz heißt es: „Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen.“ Einschränkungen sind dort nicht genannt. – Dass eine Gebührenfreiheit für unfreiwillig arbeitslos gewordene und danach vom Staat gezielt in die Armut getriebene Menschen angesichts des vorherrschenden politischen Sozialzynismus, der einstmals „Sozialpolitik“ hieß[1], nicht wünschenswert ist, verwundert dagegen wenig.

So ist der Begründung des Gesetzentwurfes zu entnehmen, dass man sich Sorgen über die dramatische Zunahme der Klageverfahren vor den Sozialgerichten seit dem 1. Januar 2005 macht. Selbstverständlich führt man das aber nicht auf „Hartz IV“ und die damit verbundene und vielfach belegte massenhafte Behördenwillkür zurück, sondern auf die Gebührenfreiheit. Nicht das Grundrecht eines jeden Bürgers in diesem Land steht hier im politischen Mittelpunkt, sondern erklärtermaßen nur die „Reduktion der Klageverfahren“. Einmal mehr wird hier ein Menschenbild deutlich, das sämtliche Bevölkerungsgruppen – und die Ärmsten ganz besonders – als potenzielle Betrüger pauschal unter Generalverdacht stellt, obwohl es längst statistisch belegt ist, dass die Mehrzahl der Klageverfahren erfolgreich verläuft.[2]

Die Vorgehensweise ist dabei dieselbe wie bei „Hartz IV“ inklusive dem ab dem 1. August geltenden Verschärfungsgesetz: Wenn es nach Ansicht der Politik zu viele Menschen gibt, die Leistungen beantragen bzw. ihr Recht vor Gericht einklagen müssen, dann wird eben der Zugang zum Arbeitslosengeld II bzw. zur Gerichtsbarkeit erschwert. Und auf das „Fortentwicklungsgesetz“ bezogen bedeutet das: Wenn die Sozialgerichte seit 2005 zu oft für die Bedürftigen und gegen die Behörden entscheiden, verschärft man kurzerhand das Gesetz, so dass die Gerichte das nicht mehr tun können. So einfach ist das heute in Deutschland. Nicht die Ursachen für Arbeitslosigkeit bzw. vermehrte Klagen vor den Sozialgerichten werden bekämpft, sondern die betroffenen Menschen. Wieder einmal werden in Deutschland die Opfer zu Tätern gemacht – aber diesmal wird der scheinbar „demokratische Weg“ beschritten, um dieses Ziel zu erreichen.

In einer Stellungnahme der Bundesregierung zu diesem Gesetzentwurf heißt es lapidar: „Die Bundesregierung hält es für erforderlich, dass die gesamten Auswirkungen des Gesetzentwurfs des Bundesrates durch eine breit angelegte Untersuchung geprüft werden. / Die Bundesregierung wird diese Prüfung im Laufe des weiteren Gesetzgebungsverfahrens durchführen.“

Na dann. Wenn die große Koalition hier genauso gewissenhaft prüft und bewertet, wie das beispielsweise bei „Hartz IV“, den Rentenkürzungen, dem Elterngeld für Reiche, den Steuergeschenken für Unternehmen, der Mehrwertsteuererhöhung, der Föderalismus- und der Gesundheitsreform der Fall war und ist, dürfen wir uns auf einen weiteren Schritt auf dem Weg zum faktischen Abbau des Rechts- und Sozialstaates freuen. Diesmal allerdings wäre es ein wahrhaft ungeheuerlicher Schritt, der die letzte Bastion des Rechtsstaates in dieser Republik – die Sozialgerichtsbarkeit – gerade für die Menschen schier unerreichbar werden ließe, für die sie ursprünglich gedacht war: nämlich Niedriglöhner, Arme, Erwerbslose, Kranke und Behinderte.

Eine solche asoziale Politik nach US-amerikanischem Vorbild hat keinen mehrheitlichen Rückhalt in der deutschen Bevölkerung. Das weiß auch unsere politische „Elite“. Wie ist es erklärbar, dass sich dennoch eine marktradikale „Reform“ an die andere reiht, ohne dass ein wütender Aufschrei durchs Land geht, der diese Leute, die vorgeben, die Interessen des Volkes zu vertreten, in ihre Schranken verweist? Wie viele sozialzynische Unverschämtheiten müssen noch publik werden, bis auch der Letzte erkennt: Diese sozialdemokratisch-christlich-grün-liberale Bande verhökert unser gesamtes Land samt aller unter Blut, Schweiß und Tränen erfochtenen sozialen und gesellschaftlichen Errungenschaften an ein paar gierige Konzerne und schert sich nicht darum, welche unabsehbaren Folgen das für alle haben wird?

Die Antwort auf diese Frage steht noch aus – und es bleibt zu hoffen, dass sie für unsere „Volksvertreter“, die deutlich erkennbar doch nur die Interessen der Wirtschaft sowie sich selbst vertreten, nicht mehr allzu lange auf sich warten lassen wird.

__________________ 

[1] „Sie haben sich deshalb von Sozialpolitik verabschiedet und auf Sozialzynismus verlegt. Der, wie sie vielleicht unter sich sagen würden, ‚Bodensatz’ der Chancenlosen wird diffamiert, gegen die Leute mit Job ausgespielt, möglichst billig gehalten, vielleicht auch noch zu kostenloser Arbeit gezwungen und in die Resignation getrieben.“ (Frankfurter Rundschau vom 02.06.06)

[2] Ein Beispiel von vielen: „Für den Löwenanteil der Hartz-IV-Kläger hat sich der Weg vors Sozialgericht zudem gelohnt. Claus-Dieter Loets, Sprecher des Sozialgerichts Hamburg: ‚Mehr als 50 Prozent der Anträge haben zumindest zum Teil Erfolg.’ Die Justizbehörde hat mit dem Ansturm auf die Sozialgerichte gerechnet. ‚Wir haben rechtzeitig vorgesorgt’, sagte Sprecher Carsten Grote. Seit Januar sind zehn Richter zusätzlich an den Sozialgerichten tätig – insgesamt 42. Sie kamen ursprünglich vom Verwaltungsgericht.“ (Hamburger Morgenpost vom 04.07.05)

 

Dienstag, 20. Juni 2006

Die unheimliche Gerechtigkeit der Sozialdemokratie

Von verhartzt, 14:40

Christel Hummel, die frauenpolitische Sprecherin der SPD, befand vor einigen Tagen, das nun vom Kabinett verabschiedete Elterngeld sei „unheimlich gerecht geworden“ (vgl. hier). Sie führte dazu aus: „Man kann nicht diejenigen belohnen, die nicht arbeiten, und diejenigen, die arbeiten, bestrafen.“ Diese Äußerung ist ein eindrucksvoller Beleg für die neoliberale Verseuchung, die diese Partei (nicht erst seit Gerhard Schröder) wie ein Virus ergriffen hat. Fakt ist dies: Arbeitslose Eltern erhalten bislang 24 Monate lang 300 Euro Erziehungsgeld – mit dem neuen, „unheimlich gerechten“ Elterngeld wird diese Bezugsdauer auf 12 Monate – also um satte 50 Prozent – gekürzt. Im Gegenzug erhalten gut verdienende Eltern, die bislang gar nichts bekommen, mit dem neuen Gesetz künftig bis zu 1.800 Euro monatlich.

Fast verschlägt es einem die Sprache, wenn man bemerkt, mit welcher Unverfrorenheit die SPD solche massiven Kürzungen und Umverteilungen von Arm zu Reich als „Gerechtigkeit“ verkauft – nicht ohne erneut darauf hinzuweisen, dass die furchtbaren Auswirkungen einer nach neoliberaler Ideologie ja größtenteils „selbst verschuldeten“ Arbeitslosigkeit nicht länger vom Staat abzumildern seien. Frau Hummel findet eine solche schallende Ohrfeige, die sie Millionen von Menschen in Deutschland auf diese Weise verpasst, aber offenbar gut.

Dies hat Tradition in der SPD. Wir erinnern uns noch alle an die netten Formulierungen eines Herrn Clement, Ex-SPD-Bundesminister für „Arbeit und Soziales“, für den mindestens 20 bis 25 Prozent aller Erwerbslosen „Schmarotzer“ und „Parasiten“ waren. Auch der „Arbeitsmarktexperte“ der SPD, Rainer Wend, hat sich in dieser Hinsicht brillant profiliert, indem er schlichtweg eine Kürzung des Regelsatzes, der heute mit 345 Euro monatlich wahrlich fürstliche Höhen erreicht hat, forderte.

Den „Gerechtigkeitssinn“ der SPD stört es offenbar auch nicht, dass mit der völlig unsinnigen Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe („Hartz IV“), die bereits vor Jahren in einer „inoffiziellen großen Koalition“ von „Experten“ wie Roland Koch (CDU) und Wolfgang Clement (SPD) beschlossen wurde, Menschen mit völlig unterschiedlichem Hintergrund und grundverschiedenen Biografien in einen staatlichen Topf geworfen werden. Der 50jährige Familienvater, der nach 30 Jahren Erwerbsarbeit (und entsprechenden Einzahlungen in die „Arbeitslosenversicherung“) plötzlich arbeitslos wird, wird nun nach denselben Gesetzen und Regelungen „bewertet“ wie eine alleinerziehende 25jährige oder ein 30jähriger Schulabbrecher ohne Berufsausbildung, der noch niemals einer geregelten Arbeit nachgegangen ist. Das findet die SPD gerecht – denn laut Gerhard Schröder sind ja die meisten dieser Menschen schlichtweg faul – anders ist es nicht erklärbar, dass er 2004 befand: „Es gibt kein Recht auf Faulheit.“

Keiner dieser sozialdemokratischen „Experten“ vermag es allerdings zu erklären, wie sieben bis acht Millionen Erwerbslose in etwa 300.000 offene Stellen „vermittelt“ werden sollen. Lieber wird ganz gerecht auf diese sieben bis acht Millionen Menschen eingedroschen und ein „Fortentwicklungsgesetz“ verabschiedet, das den „massiven Leistungsmissbrauch“ all dieser „Schmarotzer“ bekämpfen soll. Entsprechend ist in diesem Gesetz unter anderem von „Arbeitsverweigerung“ die Rede, die künftig eine komplette Streichung aller Zahlungen (einschließlich der Miete) zur Folge haben wird. Auch der zuständige SPD-Minister Müntefering findet die daraus resultierende Zunahme der Obdachlosigkeit gerecht – nach seiner Vorstellung soll ja nur der „essen, der auch arbeitet“. Nach sozialdemokratischen Kriterien ist es also völlig in Ordnung, wenn einem erheblichen Teil der Bevölkerung grundlegende Rechte einschließlich der Menschenwürde aberkannt werden. Dies entspricht der neoliberalen Ideologie, nach der solche „unnützen Esser“ wie z.B. Erwerbslose, Kranke, Behinderte oder Alte keinen Wert und keine Lebensberechtigung (jedenfalls auf Kosten des Staates) mehr haben. Peer Steinbrück, nach einer grandios verlorenen Wahl in NRW heute zum sozialdemokratischen Finanzminister aufgestiegen, brachte es schon 2003 auf den Punkt: „Soziale Gerechtigkeit muss künftig heißen, eine Politik für jene zu machen, die etwas für die Zukunft unseres Landes tun: die lernen und sich qualifizieren, die arbeiten, die Kinder bekommen und erziehen, die etwas unternehmen und Arbeitsplätze schaffen, kurzum, die Leistung für sich und unsere Gesellschaft erbringen. Um die – und nur um sie – muss sich Politik kümmern.“

Mit anderen Worten: Die Sozialdemokratie interessiert sich nicht mehr für Menschen, die – aus welchen Gründen auch immer – auf staatliche Hilfe angewiesen sind. Auch das wird in den neoliberalen SPD-Kreisen als „unheimlich gerecht“ empfunden.

Aber es sind nicht nur die Verlierer des deregulierten Raubtierkapitalismus, denen die SPD ihre Gerechtigkeit entzieht. Die geplanten Steuerreformen des SPD-geführten Finanzministeriums zeigen deutlich: Es ist sozialdemokratisch gerecht, wenn der Wirtschaft acht bis zehn Milliarden Euro Steuern jährlich geschenkt werden, während die gesamte Bevölkerung durch mehrere Steuererhöhungen[1] massiv zur Kasse gebeten wird. Noch Anfang des Jahres befand Steinbrück in seiner Neujahrsansprache vor der Industrie- und Handelskammer: „Mit unter 20 Prozent ist die deutsche Steuerquote 2005 [für Unternehmen] signifikant unter ihren langfristigen Durchschnitt von 23 Prozent gefallen; damit hat Deutschland – neben der Slowakei – die geringste Steuerquote in der EU“. Mit welcher Berechtigung sollen Unternehmen nun auf Kosten der gesamten Bevölkerung erneut so reichhaltig beschenkt werden? – Das ist eben sozialdemokratische Gerechtigkeit.

Mit dieser asozialen Politik hat sich die SPD nun endgültig von ihren Wurzeln entfernt und einen marktradikalen Kurs eingeschlagen, der fatal an die Zeit der Weimarer Republik erinnert. Lauscht man den Ausführungen der Herren Steinbrück, Clement, Müntefering, Wend, Beck & Co., überkommt einen denkfähigen Menschen das pure Entsetzen und die nackte Angst – nicht nur um die eigene Existenz, sondern auch um den Fortbestand unseres arg angeschlagenen Rechtsstaates, der unentwegt weiter ausgehöhlt und demontiert wird. In nichts sind die neoliberalen Vorstellungen der SPD mehr signifikant unterscheidbar von den perfiden Plänen der CDU. Die SPD sollte konsequenter Weise mit der Union fusionieren und so den dringend notwendigen Platz auf der linken politischen Seite freimachen für wirkliche Alternativen zu diesem neoliberalen Irrsinn, der uns alle in den Abgrund führen wird, wenn nicht endlich massiv gegengesteuert wird.

Ansonsten wird die „unheimliche Gerechtigkeit“ der Sozialdemokratie mehr als nur unheimlich werden – bedrohlich genug ist sie längst. Für uns alle.


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[1]„Allein die Anhebung der Mehrwertsteuer von 16 auf 19 Prozent soll uns 24,1 Milliarden Euro kosten. Dazu kommen Streichungen bei der Entfernungspauschale und beim Sparerfreibetrag, außerdem die höhere Versicherungssteuer, ein steigender Beitrag zur Rentenversicherung und zweifelsfrei auch weitere Belastungen durch die nächste Gesundheitsreform, deren Reformer gerade erst bei den Versicherten zugelangt hatten.“ (Vgl. hier)

 

 

Donnerstag, 15. Juni 2006

Der neoliberale Irrsinn in Deutschland – gestern und heute

Von verhartzt, 14:39

In den Redaktionen, an die der unten stehende Text geschickt wurde, ist er bislang ignoriert worden – ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Die Rolle der Medien in diesem groß angelegten, umfassenden Angriff auf soziale und gesellschaftliche Errungenschaften der letzten 100 Jahre könnte perfider kaum sein. Es liegt doch auf der Hand, was passieren wird, wenn Unternehmen und Reiche sich nicht mehr am "Solidarsystem" (das es faktisch fast nicht mehr gibt – der SPD, CDU, FDP und den Grünen sei's gedankt) beteiligen. Der Zusammenbruch der Systeme ist da vorprogrammiert – das erkennt sogar ein Laie. Offenbar ist aber genau das beabsichtigt - wiederum wegen der kurzfristigen Gewinne, die die Versicherungswirtschaft daraus ziehen kann. Mittel- bis langfristig aber wird das auch auf die Wirtschaft katastrophale Auswirkungen haben. Wir sind ja heute schon so weit, dass ein erheblicher Teil der Bevölkerung sich all die tollen Dinge, die da täglich in der Werbung angepriesen werden, überhaupt nicht mehr leisten kann. Welcher Arbeitslose ist wohl mit 345 Euro monatlich in der Lage, sich ein neues Auto, einen dieser tollen neuen Fernseher oder eine "private Rentenversicherung" zu kaufen? Dasselbe gilt für all die Menschen, die mit Hunger- und Niedriglöhnen auskommen müssen – und die längst nicht mehr größtenteils aus "unteren sozialen und/oder bildungsfernen Schichten" stammen.

Kurt Tucholsky schrieb 1931: "Wer soll sich denn das noch kaufen, was sie da herstellen? Ihre Angestellten, denen sie zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel geben, wenn sie sie nicht überhaupt auf die Straße setzen? Die kommen als Abnehmer kaum noch in Frage. Aber jene protzen noch: dass sie deutsche Werke seien, und dass sie deutsche Kaufleute und deutsche Ingenieure beschäftigen – und wozu das? 'Um den Weltmarkt zu erobern!' So schlau wie die deutschen Kaufleute sind ihre Kollegen jenseits der Grenzen noch alle Tage. Es setzt also überall jener blödsinnige Kampf ein, der darin besteht, einen Gegner niederzuknüppeln, der bei vernünftigem Wirtschaftssystem ein Bundesgenosse sein könnte. (...) Der unbeirrbare Stumpfsinn, mit dem diese Kapitalisten ihre törichte Geldpolitik fortsetzen, immer weiter, immer weiter, bis zur Ausblutung ihrer Werke und ihrer Kunden, ist bewundernswert. Alles, was sie seit etwa zwanzig Jahren treiben, ist von zwei fixen und absurden Ideen beherrscht: Druck auf die Arbeiter und Export. / Für diese Sorte sind Arbeiter und Angestellte, die sie heute mit einem euphemistischen und kostenlosen Schmeichelwort gern 'Mitarbeiter' zu titulieren pflegen, die natürlichen Feinde. Auf sie mit Gebrüll! Drücken, drücken: Die Löhne, die Sozialversicherung, das Selbstbewusstsein – drücken, drücken! Und dabei merken diese Dummköpfe nicht, was sie da zerstören. Sie zerstören sich den gesamten inneren Absatzmarkt." (vgl. hier) – Es wird einem angst und bange, wenn man darüber nachdenkt. Die Warnschüsse der Aufstände in den USA und Frankreich reichen offenbar nicht aus, um diesen Irrweg zu verlassen.

Und die meisten Medien spielen dieses große Theaterstück geflissentlich mit – auch sie sind ja größtenteils in der Hand der "großen Wirtschaft". So kommt es, dass sogar Medienwissenschaftler nun zu dem Schluss gelangen: "Die Wahrnehmung der Bürger ist im realen, sozialen Leben eine völlig andere als die, welche sie von den etablierten Medien präsentiert bekommen. Dies führt dann zu einer wachsenden Entfremdung und Distanz und letztlich zu einer Politik- und Demokratieverdrossenheit – wobei sich die Verdrossenheit auf die Art bezieht, mit der die Demokratie real praktiziert wird, und nicht auf die Demokratie als Staatsform an sich. (...) (Das) wird ähnliche Auswirkungen wie im Ostblock vor 1989 haben. Dort gab es die zensierten Medien der Partei, die alles schöngezeichnet haben. Und dann gab es das, was in den Medien nicht vorkam, was die Bürger aber am eigenen Leibe erlebt haben. Bitterfeld in der ehemaligen DDR beispielsweise. Darüber hatte Monika Maron ihren Roman „Flugasche“ verfasst und daraufhin erhebliche Schwierigkeiten mit der Staatsmacht bekommen, denn offiziell gab es ja kein Umweltschutzproblem in der DDR. / Und das gleiche werden wir jetzt auch erleben: Seit Jahren werden die Reformen gepredigt, werden die „Agenda 2010“ und „Hartz IV“ als Lösungen verkauft. Gleichzeitig verlieren zunehmend Menschen aus der Mittelschicht ihre Beschäftigung und müssen ihre Wohnungen verlassen, die ihnen dann (nach den Maßstäben von Hartz IV) nicht mehr zugestanden werden. Das führt zu einem stärker werdenden Misstrauen gegenüber der Oligarchie aus Staat, Wirtschaft, Verbänden und etablierten Medien. Daraus kann sich ein Protestwählertum ergeben ..." (Prof. Dr. Christoph Werth; vgl. hier) ... oder auch etwas noch viel schlimmeres.

Wer heutzutage noch einen halbwegs sicheren Job hat, der noch dazu einigermaßen angemessen bezahlt wird, kann heilfroh sein. Selbstverständlich ist all das in diesem Land längst nicht mehr. Und die große Koalition wütet und zerstört munter weiter – ohne Rücksicht und vor allem ohne Weitsicht für die Konsequenzen dieser umfassenden Zerstörung, die sie "alternativlose Reformen" nennt. Es ist schier unbegreiflich, wieso die Bevölkerung diesem perversen Treiben einfach tatenlos zusieht. Früher oder später wird es jeden treffen (mit Ausnahme derer, die wirklich viel Geld besitzen – wobei auch das angesichts eines jederzeit möglichen Börsenzusammenbruchs unsicher ist). Die alleinigen Gewinner solcher Strategien sind multinationale Konzerne, die eine Region, die sie abgegrast haben, einfach verlassen und sich eine neue "Melkkuh" suchen können, wie sie das jetzt beispielsweise mit China und Indien tun. Auch dort profitiert nicht etwa der Großteil der Bevölkerung in Form von mehr Wohlstand, sozialer Sicherheit etc. vom "großen Aufschwung" – ganz im Gegenteil. Es sind auch dort nur einzelne Personen und Unternehmen, die sehr reich werden – die überwältigende Mehrheit der Menschen versinkt in verstärkter Armut, totaler Abhängigkeit und sozialem Elend.

Wo also bleibt der Aufschrei der Menschen, auch hierzulande? Sind wir denn wirklich schon so indoktriniert und geistig vernebelt, dass uns der klare Blick auf die wirklichen Fakten (nicht auf die Medien!) und das eigene Denken nicht mehr möglich sind? Wie kommt es, dass nicht beispielsweise jeder durch Nachdenken erkennt: Aha – jeder soll also für seine Rente "privat vorsorgen" – was ja nichts anderes heißt, als dass die Rentenbeiträge der Bürger weiter massiv steigen, die Anteile der Arbeitgeber aber nicht ... und gleichzeitig sollen Versicherungsunternehmen auch noch Gewinne machen, sich also einen weiteren Teil vom Kuchen abschneiden. All diese "Privatisierungen" – egal, ob sie nun die Rente, die Gesundheit, den öffentlichen Wohnungsbestand, staatliche Institutionen oder was auch immer betreffen – zielen allesamt in dieselbe Richtung: Der Bürger soll – sofern er es kann, ansonsten bleibt er eben außen vor – mehr bezahlen, der Staat und die Wirtschaft weniger – und gleichzeitig sollen auch noch Gewinne für die Wirtschaft anfallen, denn sonst würde sich ja kein Unternehmen dort engagieren. Und das alles angesichts stagnierender bzw. real sinkender Löhne, einem sich (gewollt) massiv ausbreitenden Niedriglohnsektor und Massenarbeitslosigkeit – inmitten einer Phase, in der die Wirtschaft die größten Gewinne seit Bestehen der BRD einfährt.

Und Kurt Beck stellt sich nun hin und fordert "mehr Anstand" von den Arbeitslosen – man müsse nicht "alles mitnehmen, was gesetzlich geht". Kann es wirklich noch grotesker zugehen? Eigentlich kann man darauf nur noch mit schwarzem Humor reagieren – wie es beispielsweise hier geschehen ist: "Als nächstes werden wir davon hören, dass er selbst (Kurt Beck) zum Beispiel seinen Steuerberater nicht mehr benötigt, um Steuern zu sparen, sondern aus lauter Anstand eben so viel wie möglich zahlt und auch auf Rückzahlungen verzichtet. Denn man muss ja nicht alles mitnehmen, was die Gesetze ermöglichen." (Vgl. hier)

Man könnte noch stundenlang weiter schreiben, Beispiele aufzählen und deutlich machen, wie absurd, kurzsichtig und vor allem gefährlich dieser neoliberale Irrweg ist, der indes unverdrossen und stoisch immer weiter verfolgt wird. Offenbar stimmt der furchterregende Satz Erich Kästners tatsächlich, der in den 30er Jahren gesagt hat, dass in Deutschland ein Weg offenbar erst bis zum bitteren Ende gegangen werden müsse, bevor zumindest ein Teil der Verantwortlichen erkennt, dass es sich um eine Sackgasse handelt – der Rest "knallt stur mit dem Kopf vor die Wand, bis er blutig ist und zum Denken gewiss nicht mehr taugt". – Heute gibt's nur den kleinen, aber feinen Unterschied, dass "die Verantwortlichen" sich nach dem Ende der "Amtszeit" auf ein wohliges finanzielles Polster fallen lassen können und sich nicht mehr darum scheren müssen, was sie angerichtet haben – und gleichzeitig oftmals von der Wirtschaft, die sie zuvor so schamlos begünstigt haben, mit netten, fürstlich bezahlten Pöstchen belohnt werden. Schröder und Clement sind ja nur die Spitze des Eisberges.

Und das Volk glotzt weiter wie eine dumme Kuh in den Flimmerkasten und bemerkt nichts davon – weder die Lügen, noch die stetig gieriger werdende Melkmaschine, noch den am Horizont düster rauchenden Schlachthof, der Tag für Tag immer näher kommt.

Mittwoch, 14. Juni 2006

Die Rückkehr der Zwangsarbeit

Von verhartzt, 16:13

Große Koalition verschärft „Hartz IV“ gegen jede Vernunft und deformiert den Sozialstaat weiter

Das „Fortentwicklungsgesetz“ der Großen Koalition macht seinem neuen Namen alle Ehre. Es entwickelt den Sozialstaat fort – fort vom Gedanken an alles Soziale. Weder die SPD, noch die CDU sieht offenbar die grundgesetzlich garantierte Würde des Menschen oder die freie Wahl des Berufes angetastet, wenn über die gesetzliche Hintertür ein Zwangsarbeitsdienst in Deutschland eingeführt wird, der noch nicht einmal in der Weimarer Republik eine Entsprechung hatte – der „FAD“ dieser Zeit war, wie der Name schon sagt, ein „freiwilliger Arbeitsdienst“.

Und so entwickeln die Großkoalitionäre ihre grandios gescheiterte „Reform“ nun fort. Kein einziges der Ziele, die Peter Hartz und Gerhard Schröder zur Rechtfertigung dieser angeblich „alternativlosen Reform“ einst formulierten, ist erreicht worden – statt dessen hat sich die wirtschaftliche und soziale Lage eines erheblichen Teiles der Bevölkerung dramatisch verschlechtert. Experten wundern sich nicht darüber, stellte man auf Seiten der Wissenschaft doch schon 2004 fest: „Soziale Arbeit wird zur Vermittlungsinstanz eines Wahrheitsregimes, mit dem den Betroffenen glaubhaft gemacht werden soll, dass das seit einem Vierteljahrhundert bestehende Problem der Arbeitslosigkeit durch individuelles Bemühen zu lösen“ sei (Prof. Dr. Achim Trube). Angesichts der vielfältigen wissenschaftlichen Prognosen, die eine durch „Hartz IV“ verursachte soziale Katastrophe vorausgesagt haben, stellt sich nun die lapidare Frage: Waren die „Schöpfer“ der „Hartz-Reformen“ einfach nur kurzsichtig oder blind – oder waren die postulierten gar nicht die eigentlichen Ziele?

Das „Fortentwicklungsgesetz“ enthält eine Reihe von perfiden Maßnahmen, die diese Frage erneut in den Vordergrund drängen. Wie sollen sechs bis sieben Millionen arbeitslose Menschen – von denen die meisten keineswegs gering qualifiziert sind, wie oft behauptet wird – einen neuen Job finden, wenn es schlichtweg nicht genügend Arbeitsstellen gibt? Wieso wird einem durch nichts bewiesenen, sondern von der Koalition lediglich vermuteten „massiven Leistungsmissbrauch“ bei „Hartz IV“ auf so radikale Weise begegnet, während andere, gut dokumentierte Leistungsmissbräuche, wie z.B. Subventionsmissbrauch oder Steuerhinterziehung, keine solchen dramatischen gesetzlichen Folgen haben? Ginge es tatsächlich ums Sparen, müsste sich die Große Koalition auf genau diese Bereiche konzentrieren und dürfte sich nicht so schamlos mit völlig überzogenen Mitteln an den Armen und Ärmsten dieser Republik vergehen. Zudem passt es gewiss nicht in ein „Konzept des Sparens“, wenn flächendeckend teure „Außendienste“ zur Kontrolle Erwerbsloser eingerichtet werden sollen oder Aufträge an private Call Center vergeben werden, die ebenfalls der Kontrolle dienen.

Nein, es geht nicht ums Sparen bei diesem Gesetz. Der stellvertretende Regierungssprecher Thomas Steg bringt es auf den Punkt, wenn er darauf hinweist, dass „Bezieher von steuerfinanzierten Leistungen wie dem Arbeitslosengeld II zu Gegenleistungen herangezogen werden“ könnten. Das sei „auch bei der Sozialhilfe“ schon so gewesen. Eine erhellende Äußerung, die nun endlich unmissverständlich klarstellt: Diese Regierung will erwerbslose Menschen nur noch dann unterstützen, wenn sie Zwangsarbeit leisten. Der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Volker Kauder, schlug dem entsprechend vor, Arbeitslosengeld-II-Empfänger zu „Gegenleistungen“ in Form von „gemeinnütziger Arbeit“ zu verpflichten. Jeder solle ein paar Stunden arbeiten müssen, sagte Kauder der Süddeutschen Zeitung. Es dürfe nicht der Eindruck entstehen, in Deutschland bekomme ein Arbeitsfähiger eine Grundsicherung und könne „den ganzen Tag im Bett liegen bleiben“. Wenn es keine regulären Jobs gebe, müsse dafür gesorgt werden, dass „die jungen Leute jeden Morgen aufstehen und eine gemeinnützige Tätigkeit ausüben und nicht nur sinnlos herumgammeln“. – Woher all diese „gemeinnützigen Tätigkeiten“ nun aber plötzlich kommen sollen, ohne dass reguläre Arbeitsplätze vernichtet werden, bleibt dabei weiterhin schleierhaft.

Erneut werden erwerbslose Menschen pauschal diffamiert und unter einen Generalverdacht gestellt, erneut wird gezielt Stimmung gegen sie gemacht. Das „Fortentwicklungsgesetz“ ist ein weiterer Schritt auf dem Weg, der die Abschaffung des Sozialstaates zum Ziel hat. Das neoliberale Dogma wird entgegen jeder Vernunft und wissenschaftlichen Erkenntnis weiterhin blind und taub verfolgt. Wenn „Hartz I – IV“ nichts bewirkt haben, denkt man nun eben über „Hartz V – VIII“ nach. Die Folgen sind absehbar und katastrophal – nicht mehr „nur“ Armut, Perspektivlosigkeit und Depression werden zu beklagen sein, sondern Zwangsarbeit, Hunger, Obdachlosigkeit, Verlust der Kranken- und Rentenversicherung, Zunahme der Kriminalität und vieles mehr. Die USA dienen der Großen Koalition offenbar hauptsächlich in den negativen Exzessen als Vorbild.

Die eigentlichen Ziele dieser „Jahrhundertreform“ geraten mit dem „Fortentwicklungsgesetz“ nun endgültig aus dem Blick. Auch die Große Koalition weiß, dass es schier unmöglich ist, all den aufgrund neoliberaler Strategien der Politik und Wirtschaft arbeitslos gewordenen Menschen eine neue, angemessene Arbeitsstelle anzubieten. Es geht in den Arbeitsagenturen im Lande längst nicht mehr vornehmlich um die Vermittlung qualifizierter Jobs. Niemand redet heutzutage noch davon, die Arbeitslosigkeit bekämpfen zu wollen – es geht nur noch ums Einsparen und erklärtermaßen darum, die Anzahl der Leistungsempfänger zu reduzieren – auf welche Weise auch immer. Für diesen Zweck eignet sich das „Fortentwicklungsgesetz“ allerdings sehr gut. Das Soziale in diesem Land – das Solidarprinzip – wird im Namen der Sozialdemokratie und des Christlichen vollständig und nachhaltig abgeschafft.

In kalten Zeiten wie diesen wünscht manch einer sich in die Weimarer Republik zurück. Es ist hinlänglich bekannt, was damals folgte.