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Die neoliberale Katastrophe

Gedanken über den Raubtierkapitalismus, die Hörigkeit der Politik und die Rolle der Medien



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Mittwoch, 14. Juni 2006

Die Rückkehr der Zwangsarbeit

Von verhartzt, 16:13

Große Koalition verschärft „Hartz IV“ gegen jede Vernunft und deformiert den Sozialstaat weiter

Das „Fortentwicklungsgesetz“ der Großen Koalition macht seinem neuen Namen alle Ehre. Es entwickelt den Sozialstaat fort – fort vom Gedanken an alles Soziale. Weder die SPD, noch die CDU sieht offenbar die grundgesetzlich garantierte Würde des Menschen oder die freie Wahl des Berufes angetastet, wenn über die gesetzliche Hintertür ein Zwangsarbeitsdienst in Deutschland eingeführt wird, der noch nicht einmal in der Weimarer Republik eine Entsprechung hatte – der „FAD“ dieser Zeit war, wie der Name schon sagt, ein „freiwilliger Arbeitsdienst“.

Und so entwickeln die Großkoalitionäre ihre grandios gescheiterte „Reform“ nun fort. Kein einziges der Ziele, die Peter Hartz und Gerhard Schröder zur Rechtfertigung dieser angeblich „alternativlosen Reform“ einst formulierten, ist erreicht worden – statt dessen hat sich die wirtschaftliche und soziale Lage eines erheblichen Teiles der Bevölkerung dramatisch verschlechtert. Experten wundern sich nicht darüber, stellte man auf Seiten der Wissenschaft doch schon 2004 fest: „Soziale Arbeit wird zur Vermittlungsinstanz eines Wahrheitsregimes, mit dem den Betroffenen glaubhaft gemacht werden soll, dass das seit einem Vierteljahrhundert bestehende Problem der Arbeitslosigkeit durch individuelles Bemühen zu lösen“ sei (Prof. Dr. Achim Trube). Angesichts der vielfältigen wissenschaftlichen Prognosen, die eine durch „Hartz IV“ verursachte soziale Katastrophe vorausgesagt haben, stellt sich nun die lapidare Frage: Waren die „Schöpfer“ der „Hartz-Reformen“ einfach nur kurzsichtig oder blind – oder waren die postulierten gar nicht die eigentlichen Ziele?

Das „Fortentwicklungsgesetz“ enthält eine Reihe von perfiden Maßnahmen, die diese Frage erneut in den Vordergrund drängen. Wie sollen sechs bis sieben Millionen arbeitslose Menschen – von denen die meisten keineswegs gering qualifiziert sind, wie oft behauptet wird – einen neuen Job finden, wenn es schlichtweg nicht genügend Arbeitsstellen gibt? Wieso wird einem durch nichts bewiesenen, sondern von der Koalition lediglich vermuteten „massiven Leistungsmissbrauch“ bei „Hartz IV“ auf so radikale Weise begegnet, während andere, gut dokumentierte Leistungsmissbräuche, wie z.B. Subventionsmissbrauch oder Steuerhinterziehung, keine solchen dramatischen gesetzlichen Folgen haben? Ginge es tatsächlich ums Sparen, müsste sich die Große Koalition auf genau diese Bereiche konzentrieren und dürfte sich nicht so schamlos mit völlig überzogenen Mitteln an den Armen und Ärmsten dieser Republik vergehen. Zudem passt es gewiss nicht in ein „Konzept des Sparens“, wenn flächendeckend teure „Außendienste“ zur Kontrolle Erwerbsloser eingerichtet werden sollen oder Aufträge an private Call Center vergeben werden, die ebenfalls der Kontrolle dienen.

Nein, es geht nicht ums Sparen bei diesem Gesetz. Der stellvertretende Regierungssprecher Thomas Steg bringt es auf den Punkt, wenn er darauf hinweist, dass „Bezieher von steuerfinanzierten Leistungen wie dem Arbeitslosengeld II zu Gegenleistungen herangezogen werden“ könnten. Das sei „auch bei der Sozialhilfe“ schon so gewesen. Eine erhellende Äußerung, die nun endlich unmissverständlich klarstellt: Diese Regierung will erwerbslose Menschen nur noch dann unterstützen, wenn sie Zwangsarbeit leisten. Der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Volker Kauder, schlug dem entsprechend vor, Arbeitslosengeld-II-Empfänger zu „Gegenleistungen“ in Form von „gemeinnütziger Arbeit“ zu verpflichten. Jeder solle ein paar Stunden arbeiten müssen, sagte Kauder der Süddeutschen Zeitung. Es dürfe nicht der Eindruck entstehen, in Deutschland bekomme ein Arbeitsfähiger eine Grundsicherung und könne „den ganzen Tag im Bett liegen bleiben“. Wenn es keine regulären Jobs gebe, müsse dafür gesorgt werden, dass „die jungen Leute jeden Morgen aufstehen und eine gemeinnützige Tätigkeit ausüben und nicht nur sinnlos herumgammeln“. – Woher all diese „gemeinnützigen Tätigkeiten“ nun aber plötzlich kommen sollen, ohne dass reguläre Arbeitsplätze vernichtet werden, bleibt dabei weiterhin schleierhaft.

Erneut werden erwerbslose Menschen pauschal diffamiert und unter einen Generalverdacht gestellt, erneut wird gezielt Stimmung gegen sie gemacht. Das „Fortentwicklungsgesetz“ ist ein weiterer Schritt auf dem Weg, der die Abschaffung des Sozialstaates zum Ziel hat. Das neoliberale Dogma wird entgegen jeder Vernunft und wissenschaftlichen Erkenntnis weiterhin blind und taub verfolgt. Wenn „Hartz I – IV“ nichts bewirkt haben, denkt man nun eben über „Hartz V – VIII“ nach. Die Folgen sind absehbar und katastrophal – nicht mehr „nur“ Armut, Perspektivlosigkeit und Depression werden zu beklagen sein, sondern Zwangsarbeit, Hunger, Obdachlosigkeit, Verlust der Kranken- und Rentenversicherung, Zunahme der Kriminalität und vieles mehr. Die USA dienen der Großen Koalition offenbar hauptsächlich in den negativen Exzessen als Vorbild.

Die eigentlichen Ziele dieser „Jahrhundertreform“ geraten mit dem „Fortentwicklungsgesetz“ nun endgültig aus dem Blick. Auch die Große Koalition weiß, dass es schier unmöglich ist, all den aufgrund neoliberaler Strategien der Politik und Wirtschaft arbeitslos gewordenen Menschen eine neue, angemessene Arbeitsstelle anzubieten. Es geht in den Arbeitsagenturen im Lande längst nicht mehr vornehmlich um die Vermittlung qualifizierter Jobs. Niemand redet heutzutage noch davon, die Arbeitslosigkeit bekämpfen zu wollen – es geht nur noch ums Einsparen und erklärtermaßen darum, die Anzahl der Leistungsempfänger zu reduzieren – auf welche Weise auch immer. Für diesen Zweck eignet sich das „Fortentwicklungsgesetz“ allerdings sehr gut. Das Soziale in diesem Land – das Solidarprinzip – wird im Namen der Sozialdemokratie und des Christlichen vollständig und nachhaltig abgeschafft.

In kalten Zeiten wie diesen wünscht manch einer sich in die Weimarer Republik zurück. Es ist hinlänglich bekannt, was damals folgte.