Die unheimliche Gerechtigkeit der Sozialdemokratie
Von verhartzt, 14:40Christel Hummel, die frauenpolitische Sprecherin der SPD, befand vor einigen Tagen, das nun vom Kabinett verabschiedete Elterngeld sei „unheimlich gerecht geworden“ (vgl. hier). Sie führte dazu aus: „Man kann nicht diejenigen belohnen, die nicht arbeiten, und diejenigen, die arbeiten, bestrafen.“ Diese Äußerung ist ein eindrucksvoller Beleg für die neoliberale Verseuchung, die diese Partei (nicht erst seit Gerhard Schröder) wie ein Virus ergriffen hat. Fakt ist dies: Arbeitslose Eltern erhalten bislang 24 Monate lang 300 Euro Erziehungsgeld – mit dem neuen, „unheimlich gerechten“ Elterngeld wird diese Bezugsdauer auf 12 Monate – also um satte 50 Prozent – gekürzt. Im Gegenzug erhalten gut verdienende Eltern, die bislang gar nichts bekommen, mit dem neuen Gesetz künftig bis zu 1.800 Euro monatlich.
Fast verschlägt es einem die Sprache, wenn man bemerkt, mit welcher Unverfrorenheit die SPD solche massiven Kürzungen und Umverteilungen von Arm zu Reich als „Gerechtigkeit“ verkauft – nicht ohne erneut darauf hinzuweisen, dass die furchtbaren Auswirkungen einer nach neoliberaler Ideologie ja größtenteils „selbst verschuldeten“ Arbeitslosigkeit nicht länger vom Staat abzumildern seien. Frau Hummel findet eine solche schallende Ohrfeige, die sie Millionen von Menschen in Deutschland auf diese Weise verpasst, aber offenbar gut.
Dies hat Tradition in der SPD. Wir erinnern uns noch alle an die netten Formulierungen eines Herrn Clement, Ex-SPD-Bundesminister für „Arbeit und Soziales“, für den mindestens 20 bis 25 Prozent aller Erwerbslosen „Schmarotzer“ und „Parasiten“ waren. Auch der „Arbeitsmarktexperte“ der SPD, Rainer Wend, hat sich in dieser Hinsicht brillant profiliert, indem er schlichtweg eine Kürzung des Regelsatzes, der heute mit 345 Euro monatlich wahrlich fürstliche Höhen erreicht hat, forderte.
Den „Gerechtigkeitssinn“ der SPD stört es offenbar auch nicht, dass mit der völlig unsinnigen Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe („Hartz IV“), die bereits vor Jahren in einer „inoffiziellen großen Koalition“ von „Experten“ wie Roland Koch (CDU) und Wolfgang Clement (SPD) beschlossen wurde, Menschen mit völlig unterschiedlichem Hintergrund und grundverschiedenen Biografien in einen staatlichen Topf geworfen werden. Der 50jährige Familienvater, der nach 30 Jahren Erwerbsarbeit (und entsprechenden Einzahlungen in die „Arbeitslosenversicherung“) plötzlich arbeitslos wird, wird nun nach denselben Gesetzen und Regelungen „bewertet“ wie eine alleinerziehende 25jährige oder ein 30jähriger Schulabbrecher ohne Berufsausbildung, der noch niemals einer geregelten Arbeit nachgegangen ist. Das findet die SPD gerecht – denn laut Gerhard Schröder sind ja die meisten dieser Menschen schlichtweg faul – anders ist es nicht erklärbar, dass er 2004 befand: „Es gibt kein Recht auf Faulheit.“
Keiner dieser sozialdemokratischen „Experten“ vermag es allerdings zu erklären, wie sieben bis acht Millionen Erwerbslose in etwa 300.000 offene Stellen „vermittelt“ werden sollen. Lieber wird ganz gerecht auf diese sieben bis acht Millionen Menschen eingedroschen und ein „Fortentwicklungsgesetz“ verabschiedet, das den „massiven Leistungsmissbrauch“ all dieser „Schmarotzer“ bekämpfen soll. Entsprechend ist in diesem Gesetz unter anderem von „Arbeitsverweigerung“ die Rede, die künftig eine komplette Streichung aller Zahlungen (einschließlich der Miete) zur Folge haben wird. Auch der zuständige SPD-Minister Müntefering findet die daraus resultierende Zunahme der Obdachlosigkeit gerecht – nach seiner Vorstellung soll ja nur der „essen, der auch arbeitet“. Nach sozialdemokratischen Kriterien ist es also völlig in Ordnung, wenn einem erheblichen Teil der Bevölkerung grundlegende Rechte einschließlich der Menschenwürde aberkannt werden. Dies entspricht der neoliberalen Ideologie, nach der solche „unnützen Esser“ wie z.B. Erwerbslose, Kranke, Behinderte oder Alte keinen Wert und keine Lebensberechtigung (jedenfalls auf Kosten des Staates) mehr haben. Peer Steinbrück, nach einer grandios verlorenen Wahl in NRW heute zum sozialdemokratischen Finanzminister aufgestiegen, brachte es schon 2003 auf den Punkt: „Soziale Gerechtigkeit muss künftig heißen, eine Politik für jene zu machen, die etwas für die Zukunft unseres Landes tun: die lernen und sich qualifizieren, die arbeiten, die Kinder bekommen und erziehen, die etwas unternehmen und Arbeitsplätze schaffen, kurzum, die Leistung für sich und unsere Gesellschaft erbringen. Um die – und nur um sie – muss sich Politik kümmern.“
Mit anderen Worten: Die Sozialdemokratie interessiert sich nicht mehr für Menschen, die – aus welchen Gründen auch immer – auf staatliche Hilfe angewiesen sind. Auch das wird in den neoliberalen SPD-Kreisen als „unheimlich gerecht“ empfunden.
Aber es sind nicht nur die Verlierer des deregulierten Raubtierkapitalismus, denen die SPD ihre Gerechtigkeit entzieht. Die geplanten Steuerreformen des SPD-geführten Finanzministeriums zeigen deutlich: Es ist sozialdemokratisch gerecht, wenn der Wirtschaft acht bis zehn Milliarden Euro Steuern jährlich geschenkt werden, während die gesamte Bevölkerung durch mehrere Steuererhöhungen[1] massiv zur Kasse gebeten wird. Noch Anfang des Jahres befand Steinbrück in seiner Neujahrsansprache vor der Industrie- und Handelskammer: „Mit unter 20 Prozent ist die deutsche Steuerquote 2005 [für Unternehmen] signifikant unter ihren langfristigen Durchschnitt von 23 Prozent gefallen; damit hat Deutschland – neben der Slowakei – die geringste Steuerquote in der EU“. Mit welcher Berechtigung sollen Unternehmen nun auf Kosten der gesamten Bevölkerung erneut so reichhaltig beschenkt werden? – Das ist eben sozialdemokratische Gerechtigkeit.
Mit dieser asozialen Politik hat sich die SPD nun endgültig von ihren Wurzeln entfernt und einen marktradikalen Kurs eingeschlagen, der fatal an die Zeit der Weimarer Republik erinnert. Lauscht man den Ausführungen der Herren Steinbrück, Clement, Müntefering, Wend, Beck & Co., überkommt einen denkfähigen Menschen das pure Entsetzen und die nackte Angst – nicht nur um die eigene Existenz, sondern auch um den Fortbestand unseres arg angeschlagenen Rechtsstaates, der unentwegt weiter ausgehöhlt und demontiert wird. In nichts sind die neoliberalen Vorstellungen der SPD mehr signifikant unterscheidbar von den perfiden Plänen der CDU. Die SPD sollte konsequenter Weise mit der Union fusionieren und so den dringend notwendigen Platz auf der linken politischen Seite freimachen für wirkliche Alternativen zu diesem neoliberalen Irrsinn, der uns alle in den Abgrund führen wird, wenn nicht endlich massiv gegengesteuert wird.
Ansonsten wird die „unheimliche Gerechtigkeit“ der Sozialdemokratie mehr als nur unheimlich werden – bedrohlich genug ist sie längst. Für uns alle.
[1]„Allein die Anhebung der Mehrwertsteuer von 16 auf 19 Prozent soll uns 24,1 Milliarden Euro kosten. Dazu kommen Streichungen bei der Entfernungspauschale und beim Sparerfreibetrag, außerdem die höhere Versicherungssteuer, ein steigender Beitrag zur Rentenversicherung und zweifelsfrei auch weitere Belastungen durch die nächste Gesundheitsreform, deren Reformer gerade erst bei den Versicherten zugelangt hatten.“ (Vgl. hier)